Start Werner's Jazz Rezensionen THOMASZ STANKO QUINTET CD Rezension“DARK EYES“

THOMASZ STANKO QUINTET CD Rezension“DARK EYES“

THOMASZ STANKO QUINTET ECM CD RELEASE „DARK EYES“ im Alten Pfandhaus Köln, 13. Oktober 2010

Alexi Tuomarila, piano – Jakob Bro, guitar – Andreas Christensen, kontrabass- Olavi Louhivouri, drums

Natürlich sorgten die polnische Trompeterlegende Thomasz Stanko und seine Musiker im Alten Pfandhaus für großen Andrang. Der 68jährige Musiker wurde international vielfach ausgezeichnet und wiederholt vom hoch geschätztem DOWNBEAT MAGAZIN zum sechsbesten Trompeter der Welt gewählt. Jazzfans konnten sich also sicher sein, Jazz der Sonderklasse zu hören.

Gespielt wurden neue Kompositionen von Stanko und zwei Stücke von Krystof Komeda, die gerade auf dem Album „Dark Eyes“ erschienen sind. Selten sind die musikalisch hochkomplexen, insgesamt eher ruhigen Stücke kürzer als 7 „“ 10 Minuten. So lange brauchten die Musiker auch, bis die den Kompositionen innewohnende melancholische Tiefe und auch bedeutsame Sperrigkeit stimmig und prägnant interpretiert und dem Publikum vermittelt wurden.

Ohne den hohen Stellenwert der Koryphäe Stanko anzukratzen, musste ich für mich persönlich feststellen, dass mich das Spiel seiner großartigen Musiker in diesem Konzert letztendlich mehr beeindruckte und berührte. Die Musiker schafften es noch am eindringlichsten, die jeweilige Musik kontinuierlich zu intensivieren, nachdem sie das Hauptthema gespielt und damit den moderat modernen Jazzstil hinter sich ließen.

Wie eine langsam anrollende Woge baute sich nach und nach eine Spannung von ungeheurer Intensität und Hitze auf, die sie gemeinsam weiter und weiter trieben, bis sie scheinbar in einem schon rauschhaft-bizarren Klangkosmos die Spitze ihrer kreativen Möglichkeiten erklommen.

Hervorragend der Gitarrist Jakob Bro und Schlagzeuger Olavi Louhivouri „“ beide hatten glänzende, energiegeladene Soli. Andreas Christensen war im ersten Teil des Konzerts etwas dominant mit seinem Kontrabass, der den Klang des Pianos leicht abschwächte, aber nichtsdestotrotz dem allgemeinem Sound große Wärme zufügte.

Stärkstes Glied unter seinen Musikern aber ist sicher Pianist Alexi Tuomarila. Beeindruckend, wie er selbst in seinen furiosesten Passagen immer noch gelassen-ruhig am Piano saß, und ohne jegliches Mienenspiel nur äußerst sachte, ab und an einen Fuß im Takt bewegte. Vom oberen Stehplatz aus konnte ich gut beobachten wie seine Hände sich mit faszinierender Sicherheit und irrsinniger Schnelligkeit auf der Tastatur bewegten und Töne von bewegender Schönheit in den ruhigen Passagen und ein Feuerwerk in den dramatischen Momenten erzeugten.

Thomasz Stanko hatte seinen wertvollsten und berührendsten Momente, wenn er in den ausufernden, etwas traurig-düsteren Balladen mit seinem charakteristischen Klang spröde und lyrische Töne gleichzeitig spielte. In den expressiven Passagen seiner Kompositionen stellte er seine Könnerschaft des virtuosen Trompetenspiels gerne in eher kurzen, aber um so heftigeren Improvisationen unter Beweis.

In filigran verästelten Tonfolgen stürmten seine Trompetenklänge““ nervös-flirrenden Kaskaden gleich – vorwärts. Mit technischer Brillianz und Ideenreichtum entlockte er der Trompete die gewagtesten Töne, welche erahnen ließen, warum Joachim Ernst Behrendt Stanko den „weißen Ornette Coleman“ nannte!

Diese „wilden“ abstrakt-bizarren Soli waren in der Tat beeindruckende Improvisationen. Sie passierten jedoch, nachdem man sie bereits in zwei Musikstücken gehört hatte, vorhersehbar, fast mechanisch wie auf Knopfdruck und in immer ähnlichen Spielmustern. Sie entwickelten sich wenig organisch aus dem musikalischem Thema sondern folgten fast „abrupt“, nachdem die Komposition eingangs vom gesamten Ensemble erst einmal kompositionsgetreu wiedergegeben wurde.

Das geschah sehr tonschön, fast kammermusikartig und auch sehr ECM-mäßig, passend zum ästhetischen Erscheinungsbild dieses Musiklabels, dessen CD Cover schon aus einiger Entfernung leicht zu identifizieren sind. In seit Jahren konsequent ähnlicher, kunstvoll gestalteter Schlichtheit und überwiegend elegant-trister Farbgebung sind diese CD -oder Vinyl-Hüllen seit Jahrzehnten ein sofort erkennbares Indiz für ein ausgezeichnetes, durchaus schon musikalisch elitäres Musikprogramm. 1996 brachte ECM übrigens ein Buch mit dem Titel „Sleeves of Desire“ heraus, das sich mit der Geschichte der Coverkunst des Labels befasste und alle bis dahin erschienenen Motive auflistete.

In diesem Konzert wurde übrigens kein einziger Titel angesagt. Thomasz Stanko selber richtete kein einziges Wort an das Publikum. Er wirkte auf mich sogar etwas müde und keinen einzigen Tag jünger als er ist. Vielleicht ließ er deshalb seinen Musikern ungewöhnlich viel Zeit für Soli und ausgedehnte Passagen ohne sein Spiel. Stanko tourt zur Zeit durch Deutschland – und viele Konzerte verlangen nicht nur den kreativen, sondern auch den körperlichen Tribut.
Am Ende gab es zwei Zugaben nach viel Applaus – auch von begeisterten Stanko-Fans, die seine Musik sicher besser kennen oder einschätzen können als ich.
Werner Matrisch, 18. Oktober 2010
http://www.wernermatrisch.de/

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