Veronica Swift – Ode an musikalische Freiheit und Diversität.

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Köln- Das neue Album von Veronika Swift – schlicht nur mit ihrem Namen betitelt – hat es in sich!  Anders als auf ihren zwei vorherigen 100% jazzorientierten Alben bedient sie jetzt ein weitaus breiter gefächertes Spektrum an Musik.  

Versiert, kreativ und in absoluter Souveränität intoniert Veronica Swift ein ebenso spannendes wie erstaunliches Repertoire: über Rock, Pop, Soul, Blues, Funk, Bossa Nova, Chanson führt sie uns in der Adaption von französischen und italienischen Opern sogar zur klassischen Musik!

Dass der Jazz bei elf Songs, die man den erwähnten Musik-Genres mehr oder weniger zuordnen kann, dennoch nicht gänzlich verschwunden ist, liegt an den Interpretationen der Musiker, der Sängerin und natürlich an den motivierten Arrangements.

Da startet das Album zunächst mit einer jazzigen Bearbeitung der schwulen Überlebens-Hyme „I Am What I Am“ aus dem Jerry-Herman-Musical „La Cage aux Folles“. In den ersten 38 Sekunden beginnt Veronica Swift mit einem „a capella-Scat“ den eine Ella Fitzgerald nicht besser hinbekommen hätte! Schnell ist sie dann voll im Swing mit der Band.Nach einem Piano-solo duelliert sie höchst virtuos mit dem Pianisten ein Battle, welches beide Künstler später im Gefilde von Bach-Melodik musizieren lässt.

Der Song „Closer“ beginnt instrumental und gesanglich im Funk-Stil, aber bereits nach einer Minute ändert Swift den Sound und fällt ein mit blitzschnellen Scat-Silben. Die Bigband mit fetten Bläsern und ein langes, fabelhaftes Sax-Solo folgen, womit sie mitten im Jazz sind. Swift schließt sich nochmal mit Scat an, um dann den Song mit dynamischen Funk-Noten zu beenden.

Der Klassiker „Do Nothing Till You Hear From Me“ von Duke Ellington ist nur eine von vielen Überraschungen auf diesem Album. Stimmgewaltig – und selbst vor einer Röhre wie Janis Joplin müsste sie sich nicht verstecken – begeistert die Swift hier mit einem Jazzstandard im Blues-Rock-Idiom.

Trotz unzähliger – meist balladesken Versionen, die von diesem Song existieren: so aufgelöst und zornig wurde der Song noch niemals interpretiert. Veronika Swift gibt alles und behält mit ihrem furiosen Bluesgesang beim enorm kompakten Orchesterklang immer die Oberhand wie auch ihre künstlerische Eigenständigkeit. Mit dabei der wunderbare Trompeter Benny Benack III. Herausragend bei diesem sechsminütigem Stück auch das spektakuläre, voll dem R&B angedeihte Gitarrensolo von Chris Whiteman.

Bei Freddie Mercury’s „The Show must go on“ erstaunt Swift mit einer emotionalen, derart sinnlich intonierten Jazz-Bearbeitung, dass eine Wiedererkennung mit dem Mercury-Song in dieser Weise zunächst kaum zu erkennen ist. Swift kombiniert dann – was sehr ungewöhnlich ist – „Vesti La Giubba“ die Arie aus Ruggero Leoncavallos Oper „Pagliacci“ von 1892, hinzu. Ihre Phrasierung und Klangfarbe erinnert mich hier an die große Anita O’Day .(1919 – 2006). Ein dritter Song in südamerikanischer Melodik „Laugh!CoolClown“ vervollständigt das Medley.

Letzteres war ein Stück vom Nat King Cole-Trio, wiederum adaptiert nach, „Vesti La Giubba“. Der Pianist Adam Kipple glänzt bei dieser Performance mit starken Akzenten.

Auch mit „I’m Always Chasing Rainbows“ wendet sich die Sängerin der Klassik zu: Das Stück – geschrieben 1917 von Harry Carroll als sogenanntes „Vaudeville-Lied“, ist aber eine Adaption der Fantaisie-Impromptu von Frédéric Chopin.

Der Song wurde schnell berühmt durch die Broadway-Show „Oh Look“ (1918) und ist heute wegen der besonderen Schönheit der Melodie ein Standard. Weltstars wie Garland, Streisand, Sinatra und sogar Alice Cooper haben den Song gecovert – und nicht nur sie. Nach einem langen, klassisch musizierten Intro intoniert Veronica Swift vorerst zurückgenommen.

Mit leicht belegter Stimme – von breitem, sinfonischem Orchesterklang und klassisch perlenden Piano-Läufen begleitet, steigert sie ihre Vokalkunst zu mehr Volumen und hohen, langanhaltenden Noten. Doch selbst hier behält ihr Gesang immer noch eine angenehme Fragilität im Kontrast zum Streicher-Pomp.

Musikalisch alles andere als „klassisch“ geht es weiter mit „In The Moonlight“, obwohl Swift dieses Stück wiederum von Beethovens Mondscheinsonate adaptierte und mit Lyrics versah. Sie macht daraus weniger ein romantisches, sondern ein gänzlich schmerzliches Liebeslied. Die ersten Pianoklänge sind noch purer Beethoven, dann setzt ihr Gesang ein – melancholisch, sehnsuchtsvoll.

Dazu die Gitarre von Chris Whiteman, die solistisch leidenschaftlich aufschreit. Veronicas Performance wird mit den nächsten Zeilen eindringlicher, lauter. Zusammen mit den eingesetzten Chorstimmen kommt verletzte und verschmähte Liebe intensiv zum Ausdruck. Hochdramatisch schleudert sie die Lyriks heraus: „That everything’s alright – that we never had to fight- oh, tell me honey, what can I do to make it right? ‘Cause I can’t take it, I can’t make it through the night without you in the moonlight“. Beeindruckend, wie sich das emotionalste Stück auf diesem Album spannungsvoll immer wieder neu steigert.

Eine erneute Opernadaption betrifft die Arie „Perché Tarda La Luna“ von Turandot (Puccini). Veronica und Austin Patterson haben hier ein wunderschönes Bossa-Nova-Duett geschaffen: Man würde es nicht glauben, dass man diese Arie so verwandeln kann, bevor man das Stück gehört hat: „Severed Heads“ beginnt mit zart gesungenem Intro der Solostimmen von Austin Patterson und Veronica. Zur virtuos gespielten Gitarre (wieder Chris Whiteman) klingen die zwei Gesangsstimmen im Bossa-Nova-Rhythmus – ob wechselweise oder im Duett wunderbar leicht und harmonisch. Eine Bemerkung zur Stimme von Austin Patterson: Als ich seine ersten Töne hörte, dachte ich sofort an Seal. Austins Stimme hat eine frappierend ähnliche Klangfarbe. Wer das kaum glauben möchte, höre sich Seals Version von „My Funny Valentine“ an.

Bei „Je veux vivre“ wirkt Austin Patterson nochmal mit, aber diesmal als Arrangeur, neben Swift. Die gleichnamige Arie von „Romeo und Julia“ von Charles Gounod wurde hier mit typischen Attributen des französischen Chanson arrangiert. Begleitet von Akkordion, Gitarre und Violine singt Swift auf französisch „Ich möchte leben“ mit all den kleinen Trillern und vokalen Schnörkeln, wie sie in der Opernpartitur geschrieben sind – aber dennoch ist alles opernhafte in Veronikas Interpretation verschwunden – denn der Sound eines Chansons dominiert hier das Stück.

„Chega de Saudade“ (Genug der Sehnsucht). Von all den Ungewöhnlichkeiten auf diesem Album schafft es dieser portugiesisch gesungene Titel von Antonio Carlos Jobim besonders herauszuragen: Veroncia Swift betritt musikalisch sublim den Fado-Bereich. Zu Beginn erklingt wehmütig eine Violine. Vom betörend belegtem Mezzo bis zum klaren Sopran schwingt ihre Stimme wechselhaft changierend zu vollem Streicherklang in Melancholie, Sehnsucht und Hoffnung. Der kürzeste Song (2.58) ist ein Kleinod, welcher großen Eindruck hinterlässt.

Nach soviel Besinnlichkeit ist Song Nr. 10 „Keep Yourself Alive“ als knalliges Blues-Soul-Stück sehr willkommen. Der Song behandelt noch einmal das Thema des „Überlebens“. So schließt sich der Kreis zum ersten Song „I Am What I Am“. Dröhnend-dynamische Bläsersätze, Gitarre, tiefe Bässe, und heftige Drums schaffen einen massiven Sound der den furios-glamurösen Gesang, der Swift nicht nur exzellent begleitet, sondern noch in seiner Brillanz emporhebt.

Aber damit ist das Album noch nicht zu Ende: Unter dem Titel 10 steht bescheiden „Encore“ . Und dieser elfte Titel als Zugabe ist eine hammermäßige Überraschung: Swift singt „Don’t Rain On My Parade“ . Es ist der Song, welcher Barbra Streisand wegen ihrer legendären Performance im Film Funny Girl“(1967) weltberühmt machte.

Swift : „Ich bin als Jazzsängerin aufgewachsen“

Veronica Swift macht es vollkommen anders – sie gedeiht dem pompösen Musical-Vehicle eine staccatomäßige „Schockbehandlung“. Herausgekommen ist eine Art Punkrock-Version, aber in Arrangement und Gesangspart so innovativ und mitreißend, dass zwar manche Hardcore-Streisandfans verstört sein mögen, oder aber auch nicht – wozu ich mich zähle. Und auch dieser Song beinhaltet das große Thema des Albums vom „Lebenwollen“, „Überleben“ vom „Durchsetzen“ und auch der künstlerischen Freiheit, mit der sich Veronika Swift auf ihrem Album nicht nur dieses Songs bemächtigt. Besonders in der expansiven Weise wie Swift den Streisand-Song singt, kann er nicht missverstanden werden: „Don’t bring around a cloud to rain on my parade- I’m gonna live and live now! Get what I want, I know how!“

Wenn man Veronica Swifts Statement zu ihrem neuen Album hört, mag man ihr noch überzeugter auf diesen Wegen der musikalischen Kreativität, Diversität und künstlerischer Freiheit folgen:

„Ich bin als Jazzsängerin aufgewachsen. Aufgrund der Verbindung, die ich zu meinen Eltern habe, fühlte ich mich verpflichtet, diese Musik aufrechtzuerhalten und aufzuführen«, sagt sie mit Blick auf ihre Eltern – die Jazzsängerin und Pädagogin Stephanie Nakasian und den Pianisten Hod O’Brien. »Aber was ich den Leuten nicht oft zeigen kann, ist, dass es eigentlich nicht meine Musik ist, so sehr ich auch in dieser Tradition verwurzelt bin. Ich wollte schon immer Rock singen. Das war die Musik, die meine Leidenschaft entfacht hat, ebenso wie Soul und andere Genres. Aber ich wollte es auf meine Art machen.“

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Die JAZZ CD/DVD- und Konzert Rezensionen von Werner Matrisch sind ein besonderes schöne Rubrik. Jazzie traf den Kölner Maler und Künstler Werner Matrisch "Homepage WernerMatrisch" bei einer Vernissage. Wir kamen ins Gespräch und entdeckten, das wir nicht nur eine gemeinsame Leidenschaft, die Malerei haben, sondern auch dem Jazz sehr zugetan sind.