Barbra Streisand „Release Me“ – Pures Gold aus den Gewölben

10170

Köln- Welches Glück für Streisandfans und Liebhabern schöner, großer Stimmen: Die bedeutendste und immer noch erfolgreichste Sängerin Amerikas entschloss sich nach etlichen Dekaden und genau zu ihrem 50jährigen Schallplatten-Jubiläum, etwas weniger selbstkritisch zu sein. Das Ergebnis ist vorerst die CD „Release Me“ , mit 11 bisher unveröffentlichten Aufnahmen von 1967 „“ 2011. Weitere Folgen gleichen Konzepts sind nach derzeitigem Informationsstand zumindest in der Planung.

Das Graben und Suchen in den Tiefen der Columbia/Sony Archive förderte akustische Schätze der unterschiedlichsten Art zutage. Denn „Release Me“ offeriert ein ungemein kontrastreiches Programm. Von der Gleichförmigkeit, die einigen Streisandalben der letzteren Jahre anhafteten und ihr von nimmersatten Fans vorgeworfen wurde, kann wirklich nicht die Rede sein. Interessant ist in dem Zusammenhang, dass diesmal die sogenannten „Berufskritiker“ diese gleichförmigen CDs ( z. B. Love Is The Answer, 2009) besser bewerteten, als manche der eingefleischten Streisandfans.

Doch nun strömt mit „Release Me“ endlich wieder die Streisandstimme der besten Jahre breit, kostbar und verschwenderisch wie pures Gold aus den Lautsprecherboxen. Oder vom Kopfhörer direkt in den Gehörgang. Welch ein Genuss! Ihr reiches Stimmspektrum wird in diesen Songs wahrlich voll ausgelotet.

Weiche Töne wechseln mit stahlharten, langezogenen Vokalfanfaren schon beim ersten Song „Being Good Isn’t Good Enough“. Ein Musicalsong zwar, aber im Gesamtklang weitaus sperriger, und dynamischer als zum Beispiel die meisten der eingängigen Songs aus Webber-Musicals, die auch Omi oder Operettenliebhaber Freude bereiten.

Beim schönsten Juwel der CD „I Think It’s Going To Rain Today“ hören wir die Streisand mit harfenzarten Tönen, wundervoll im Einklang mit Randy Newmans sparsamer Klavierbegleitung. Dieser Song erlangte schon Berühmtheit mit Aufnahmen von Nina Simone Cleo Laine oder Dusty Springfield. Ein Kritiker fand in der Streisandversion eine musikalische Nähe zu Schubert.

Bei „Mother And Child“ betört Barbra Streisand in den Höhen mit einer fast schmerzhaften, kristallenen Klarheit. Den Billie Holiday Klassiker „Willow Weep For Me“ interpretiert sie stilsicher, klangschön und überzeugender als den Holidaysong „God Bless The Child“. ( Aus der Butterfly-Session 1974 – auch ein ganz starker Song, aber er war ihr nach meinem Geschmack etwas zu aufgesetzt geraten).

Mit „Try To Win A Friend“ hat mich Barbra sehr überrascht, weil Countrymusik überhaupt nicht meine Musik ist. Aber der Song hat eine wunderschöne Melodie und Barbra’s Stimme begeistert mich mit ihrer unvergleichlichen Qualität „“ jede Note ein Hochgenuss. Auf „How Are Thinks In Glocca Morra“, musikalisch sicher das weit anspruchsvollere Stück, setzt sie stimmlich noch eins drauf. Mit anderen Worten: sie schwelgt! Bei diesem Stück erinnere ich mich an die Worte von Don Black, der für „Sunset Boulevard“ das Libretto schrieb.

Nach Streisands triumphaler Konzerttour 1994 fasste er zusammen: „Für mich hörte sich das an wie flüssige Diamanten – ich dachte: es ist nicht fair, dass es eine solche Stimme gibt“

Das könnte man auch bei „Didn’t We“ so empfinden. Denn es ist wahre Meisterschaft wie Streisand hier von den zartesten Tönen den Übergang zu einem überwältigendem Fortissimo schafft.
Sehr polarisieren wird vermutlich „Lost In Wonderland“. Ein Bossa-Nova-Song der besonderen Art: Heiter und beschwingt, aber in der Melodie außerordentlich vertrackt und verzwickt. So etwas muss man erst einmal singen können! Das verlangt eine todsichere Intonation – Streisand beherrschte sie bereits 1968. Trotz „Bossa Nova“ ein eher ungewöhnlicher Song, aber auch sehr humorvoll, vielleicht etwas gewöhnungsbedürftig – mir bereitet er aber viel Freude.

Ein leichte Enttäuschung ist für mich „With One More Look At You“ – aber nur, weil die Filmversion (als Medley) so überirdisch gut ist. Diese Aufnahme kann nicht mithalten und vermittelt mir nicht diese große Intensität. Schlecht gesungen ist aber auch diese Studioversion beileibe nicht und es bleibt ein toller Song.

Mit „Home“ dem musikalischem Prunkstück des (schwarzen) Musicals „The Wiz“, wird auch Streisands Stimme – das hört man einfach – gefordert. Sie klingt manchmal in den kräftig gesungenen Passagen etwas angestrengt „“ aber vielleicht gehört das auch dazu, schließlich ist es kein einfaches Liedchen! Ich kannte den Song nur in schlechter Tonqualiät als „Streisand-Bootleg“ – er gefiel mir nie besonders. Jetzt ist der Sound ausgezeichnet „“ und als „moderne Schmetter-Arie“ in der sie wie in alten Zeiten richtig “ loslegt“ weiß ich den Song immer mehr zu schätzen !

Zum Schluss dieser Rezension noch ein Wort zu „If It’s Meant To Me“ . Er ist die jüngste Streisand-Aufnahme vom August 2011 und sie „schleicht“ sich quasi ein zwischen die Aufnahmen von 1967 bis 1988. Hört man die CD in einem Durchgang „“ und selbst, wenn man sehr genau auf ihre Stimme achtet: es sind nur minimale Unterschiede der Stimmqualität zu bemerken. Eigentlich fällt es überhaupt nicht auf, dass ihre Stimme hier zwanzig oder auch dreißig Jahre älter ist. Nun ist dieser Song eine Ballade, und hat keine allzu anstrengende Melodieführung, aber doch auch ziemliche Höhen und Tiefen, die Barbra absolut sauber singt und intoniert.

„Release Me“ ist ein Tondokument, welches überzeugt, erfreut und daran erinnert, welch große Künstlerin dieser Planet in Barbra Streisand hat. Ihre künstlerische Größe und Bedeutung wird sich in dieser Weise nicht wiederholen. Sie ist und bleibt Legende.

© Werner Matrisch, Köln 9. Oktober 2012

Zur Info:
http://de.wikipedia.org/wiki/Recording_Industry_Association_of_America#Die_erfolgreichsten_K.C3.BCnstler
Diese Künstler haben insgesamt in den USA am meisten Alben verkauft (Stand: 14. März 2012)
1. The Beatles – 177,0 Millionen Alben
2. Elvis Presley – 134,5 Millionen Alben
3. Garth Brooks – 128,0 Millionen Alben
4. Led Zeppelin – 111,5 Millionen Alben
5. The Eagles – 100,0 Millionen Alben
6. Billy Joel – 81,5 Millionen Alben
7. Pink Floyd – 74,5 Millionen Alben
8. Elton John – 72,0 Millionen Alben
9. Barbra Streisand – 71,5 Millionen Alben
10. AC/DC – 71,5 Millionen Alben

Vorheriger ArtikelIvan Polyanskiy Band in der Villa Ingis
Nächster ArtikelTrotz Streik Spielbetrieb im CinemaxX wird wie gewohnt stattfinden
Die JAZZ CD/DVD- und Konzert Rezensionen von Werner Matrisch sind ein besonderes schöne Rubrik. Jazzie traf den Kölner Maler und Künstler Werner Matrisch "Homepage WernerMatrisch" bei einer Vernissage. Wir kamen ins Gespräch und entdeckten, das wir nicht nur eine gemeinsame Leidenschaft, die Malerei haben, sondern auch dem Jazz sehr zugetan sind.