The Roger Cicero Jazz Experience – Handgemachter Jazz in souveräner Spielkultur

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Roger Cicero Jazz Experience
Roger Cicero Jazz Experience

Köln – Jazz Review- The Roger Cicero Jazz Experience.Das Debüt Album (2.Oktober 2015)Handgemachter Jazz in souveräner Spielkultur. Meinen Schlüsselsatz zu diesem Album, der eigentlich am Ende dieser Rezension stehen sollte, möchte ich vorwegnehmen:

Es ist faszinierend und akustische Feinkost voller Intensität, wie hier zehn Songs unterschiedlichster Stilart, Herkunft und Zeitraum zu einer vielstimmigen Einheit verschmelzen.

Gegensätzlichkeiten der Kompositionen verbinden sich durch behutsam angepasste Arrangements, die mit dem jeweiligen persönlichen Gespür, Vorstellung und der musikalischen Erfahrung aller vier Musiker erarbeitet wurden zu einem neutönendem Ganzen. Neben einer souveränen Spielkultur seiner drei Musiker, beeindruckt der Sänger Roger Cicero bei diesem ungewöhnlichem Repertoire mit differenzierten und flexiblen Interpretationen.

Das macht Freude zu hören, und die Freude steigert sich, je öfter man das Album hört.

Vor über zwei Jahren gründete Roger Cicero mit den drei Musikern seiner Bigband: Maik Schott,piano, Wurlitzer, Matthias „Maze“ Meusel, drums + percussion, und Hervé Jeanne, bass, die Formation „The Roger Cicero Jazz Experience“.

Seit 2013 also sind die vier Musiker mit dieses Programm live unterwegs – unter anderem musizierten sie auch auf den Leverkusener Jazztagen 2013. Das nun vorliegende Debüt Album war geradezu zwingend. Zehn Titel wurden ausgewählt und im Studio aufgenommen.

Ein „zünftiges“ Jazzalbum durfte erwartet werden, auch wenn sich nur drei Kompositionen als typische Jazz-Standards ausweisen. Herausgekommen ist ein weniger zünftiges, als ein „in sich stetig wandelbares“ Jazzalbum, mit großen Spannungsmomenten.

Die wohlüberlegt auserkorenen Songs zwischen Pop, Folk, Rock + Soul von James Taylor, Lennon/ McCartney, Paul Simon, Nick Drake, Amos Lee und Tom Waits – welche laut Pressetext „in den vier Musikern über Jahre etwas bewegten“- erstaunen jetzt in dieser nicht nur jazzigen, sondern auch sehr inspirativen Aufbereitung mit Alleinstellungsmerkmal. Wer die Songs kennt, dürfte von diesen Versionen ziemlich überrascht sein. Niemals hätte ich vorher geglaubt, dass sich zum Beispiel „50 Ways To Leave Your Lover“ so selbstverständlich und überzeugend verjazzen ließe!

Die reinen Jazzsongs werden frisch mit allen Jazzatributen interpretiert, so wie Bennie’s From Heaven (spassige Um-Deutung von „Pennies From Heaven“), oder „Moodys Mood“ – immer schon ein Cicero-Favorit und der swingende Klassiker „No Moon At all“. Letzterer ein idealer Titel für Ciceros „Swing-Gespür“. Sein Gesang mit virtuosem Scat garniert, begleitet von markigen Drums, eleganten Basslinien und kräftigen Pianoanschlägen ist ein locker-perfekter Einstieg in dieses Album. Der Song aber täuscht zunächst eine (Jazz)-Eingängikeit vor, der sich der Großteil der folgenden Titel deutlich widersetzt.

„Shower The People“, der zweite Song ist bereits der Schritt in eine ganz andere musikalische Richtung. Eine 70er Ballade von James Taylor’s Album „In the pocket“ im Folk-Style, die natürlich durch Ciceros Interpretation und in Begleitung seiner Musiker, besonders durch Maik Schotts Pianosolo dann doch noch einen gewissen jazzigen Touch erhält. Gegen Ende wird es hochdynamisch, und Ciceros Gesang wird absolut funkig.

Viel weiter weg vom Jazz ist der Amos-Lee-Song“Keep It Loose“ mit seiner ernsten Besinnlichkeit. Wer Cicero nur von seinen Big-Band-Aufnahmen kennt, dürfte hier über seine vielen, fein abgestuften Zwischentöne überrascht sein. Eine schöne chorstimmige Passage ist integriert, bevor das Stück mit einem rhytmisch eindringlichem Piano-Solo – welches in mir teilweise auch Erinnerungen an Keith Jarretts Köln-Konzert wach ruft – ausklingt.

Relativ neu ist „50 Ways To Leave Your Lover“ ins Repertoire der Livekonzerte gekommen. Paul Simons Song wird bei den Strophen im relativem Singer-Songwriter-Style gehalten. Aber immer wenn Roger den Chorus singt, fetzt es jedesmal so unerhört jazzig und aufgeheizt, dass man beim Hören am liebsten den ganze Körper rhythmisch mit einbeziehen möchte! Hervé Jeanne hat dabei ein melodisches Bass-Solo, Maik Schott schlägt beherzt in die Tasten, und die urwüchsig-satten Drums von Matthias „Maze“ Meusel treiben die Nummer weiter. Der Song endet aber überraschend ruhig, in dem alle Musiker in die Songwriter-Atmospäre zurückzukehren und dem Song einen nachdenklichen Ausgang bescheren.

Viel Ruhe kehrt dann ein, wenn „Oceans Way“ als einziges Instrumentalstück der CD dem stürmischen Paul-Simon-Song folgt. Das knapp vierminütige Stück kam mir Anfangs trotz seiner Klangschönheit etwas unbestimmt oder weitläufig vor: ich wartete immer auf eine größere thematische Gestaltung.

Diese kommt aber nicht – dafür ist der Song auch zu kurz. Inzwischen begreife ich „Oceans Way“ als Einleitung zum nächsten Titel: Das filigrane, hingetupfte Song-Intermezzo wirkt auf mich wie ein kontemplatives „Intro“ auf das folgende, interpretatorisch und musikalisch bedeutendste Stück des Albums: Nick Drakes „From The Morning“.

Ein magischer Song: mystisch anmutend und voller visionärer Romantik und Traumverlorenheit. Das achtminütige Stück stellt Maik Schotts Klavierspiel neben Cicero Stimme und außer einem kurzen Solo des Bassisten Hervé Jeanne – von Anbeginn in den Vordergrund. Tranceartig wiederholende Akkorde geleiten Ciceros enthaltsam-beseelten Gesang wie weiches Wellenspiel.
Und so wie Wellen leise kommen, dann geräuschvoll aufbrechen und wieder ruhiger abebben, hat „In The Morning“ eine ähnliche, naturgegebene Musikalität. In seiner meditativen Grundstimmung vermag dieses sehnsuchtsvolle Musikstück acht Minuten lang zu faszinieren. Eine entrückte Ode an Leben, Werden, Lernen, und vielleicht Begreifen. Großartig!
Die melancholische, allerorten bekannte Ballade „The Long And Winding Road“ bringt den Hörer mit einem stark Schlagzeug betonten – deshalb Schmalzfaktor Einhalt gebietendem Arrangement – in die angenehm, nostalgische Klangzone der Wiedererkenung einer schönen Melodie. Ciceros Gesang klingt weich und gefühlvoll ohne sich in Sentimentalität zu verlieren.
„The Long And Winding Road“ habe ich live von Cicero mehrere Male gehört – ganz anders arrangiert, auch mit recht wuchtigem Intro und Scat-Vocals. Die jetzt vorliegende Studioversion ist ohne das Intro und die schönste. Das Stück bekommt durch den Einsatz von Hammond-Orgel einen stark bluesigen Charakter. Im Mittelteil intensiviert sich der ruhige Song, wenn Cicero’s Kopfstimme sich wunderbar mit der lauter werdenden Orgel und hell fließenden Pianoläufen verbindet.
„Tom Traubert‘ Blues“ – auch bekannt als „Waltzing Mathilda“ war bei den Livekonzerten der „Roger Cicero Jazz Experience“ immer die Zugabe. Das passte sehr gut, weil der Song mit seiner schwermütigen Thematik nicht ganz leicht im Programm zu integrieren ist. Dass der Song auch dieses Album beendet, ist eine richtige Entscheidung. Tom Waits hatte das australische Volkslied „Waltzing Mathilda“ mit traurigem, desillusionierendem Text versehen. Alkoholsucht und Krieg werden thematisiert und auch Teile der ursprünglichen Melodie veränderte er. So entstand ein wunderbarer neuer Song: „Tom Traubert‘ Blues“ .
Was bei Waits eine authentische Folk-Ballade ist, wird bei Cicero in zarter Klavierbegleitung und dank seiner klaren, schattierungsreichen, völlig intonationssicheren Stimme eher zum künstlerischen Kleinod. Ein sehr trauriges Lied ist es immer noch, aber der schöne Klang besiegt hier sozusagen die Verzweiflung und Hoffnungslosikeit der Waits-Version. Authentisch klingt es auch bei Cicero, wenn die Begleitung so zurück genommen ist, dass Ciceros Stimme fast wie „a capella“ klingt. Der emotionalste Moment in seinen Konzerten war immer dieser, wenn Cicero den letzten Teil von „Waltzing Mathilda“ gänzlich „a capella“ sang – und zwar völlig ohne Mikro. Auch wenn so ein Moment auf CD nicht zu wiederholen ist – diese Studioversion ist das nächst Beste!
Das Album „The Roger Cicero Jazz Experience“ ist übrigens Ciceros 7. Studioalbum und hat für mich eine Sonderstellung. Nicht nur weil es das Debüt Album dieser noch jungen Formation ist, auch wegen der Besonderheit des Repertoires, der inspirativen Behandlung oder jazzigen Umformung der Nicht-Jazz-Stücke, sowie der großen Kreativität und Spielfreude, mit der alle Musiker diese Songs neu erfunden haben.

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Bleibt noch zu erwähnen, dass die Soundqualität (Toningineur  Ingo Schmidt) dieses wavemusic Albums hervorragend ist.
Auch das geschmackvolle Design im Hardcoverlook mit integriertem Booklet und den Fotos von Alexander Heil
entsprechen der gesamten hohen Qualität dieser Produktion!

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Die JAZZ CD/DVD- und Konzert Rezensionen von Werner Matrisch sind ein besonderes schöne Rubrik. Jazzie traf den Kölner Maler und Künstler Werner Matrisch "Homepage WernerMatrisch" bei einer Vernissage. Wir kamen ins Gespräch und entdeckten, das wir nicht nur eine gemeinsame Leidenschaft, die Malerei haben, sondern auch dem Jazz sehr zugetan sind.