Roger Cicero Solo Musikalische Höhenflüge im Weltklasseformat

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Roger Cicero , vocal + Lutz Krajenski, piano  live im Theater am Tanzbrunnen,  Köln,  17. Oktober  2010.  Bevor ich auf dieses außergewöhnliche Konzert von Roger Cicero und Lutz Krajenski näher eingehe, möchte ich doch auf Folgendes hinweisen: In meinen inzwischen über zwanzig ausführlichen Konzert- und CD-Besprechungen zur Musik von Roger Cicero habe ich wahrscheinlich erschöpfend beschrieben, was sein Talent, seine Musikalität, und seine Stimme ausmacht. Insofern wird es fast unmöglich, sich nicht zu wiederholen.

Tatsächlich aber hatte seine gerade abgeschlossene Clubtournee „Roger Cicero Solo“  bewunderungswürdige Überraschungen parat, die besonderer Erwähnung bedürfen. Zunächst einmal muss ich betonen: Wo „Jazz + Soul Pur“ draufstand, war dieses auch „drin“ –  und das nicht zu knapp! Diese Ankündigung war also alles andere als eine versprechende „Mogelpackung“ „“ in der dann doch wieder überwiegend Zugeständnisse ans „Zieh-die-Schuh-aus-Publikum“ gemacht wurde.

Cicero bestreitet sein faszinierend vielseitiges Programm über  zwei Stunden lang allein mit seinem Pianisten, Organisten und Arrangeur Lutz Krajenski. Beide Künstler verbindet eine über zehnjährige musikalische Verbundenheit, und ein kurzer Blick aus dem Augenwinkel  genügt ihnen zur Verständigung. Eigentlich müsste man bei diesem Konzert sogar von einem Konzert-Duett sprechen, denn Krajenski ist während des gesamten Konzerts  an Ciceros  Seite präsent. Dieser gab ihm viel Gelegenheit in seinen Soli sowohl am Piano wie auch an der Hammondorgel zu brillieren und das Publikum in immer neue Begeisterungsstürme zu versetzen. Roger Cicero selbst genoss ebenso Krajenski’s pianistische Kostbarkeiten und offenbarte mit strahlender Miene mindesten die gleiche Begeisterung wie das Publikum.

LET’S STAY TOGETHER
Das Repertoire war äußerst geschickt ausgewählt. Im gut überlegten Wechsel von Funk,  Blues, Jazzstandards, Pop Soul -und  Jazzballaden, und sogar einem fulminanten Brückenschlag zum  Gospel als letzter Titel vor den Zugaben „“ konnte auch nicht die kleinste Spur von Eintönigkeit aufkommen.  Cicero scheute nicht zurück, hochkarätige, weltberühmte Songs wie Marvin Gaye’s „What’s Going On“ oder Al Green’s „Let’s Stay Together“ nur mit Pianobegleitung zu interpretieren. Songs, die jeder Soulfan bestens kennt und zwar mit harten Drums und überhaupt praller, funkiger Begleitung.

Besonders „Let’s Stay Together“  gelingt Cicero fantastisch. Man darf nicht vergessen, dass dieser Titel 1984 Tina Turner eines der großartigsten Comebacks der Popgeschichte bescherte „“ in einer  grandiosen Version, die die restlichen achtziger Jahre durch alle Diskotheken  zog. Ich habe bei der Cicero-Version nichts an riesigem Background vermisst .
Roger Cicero hat die Begabung sich einen Song derart eigenständig und intensiv anzueignen, die Steigerung oder das Beste  in der Musik zu erkennen und immer noch weiter zu dynamisieren, so dass man den Song ganz neu hört und ihn begeistert in so einer „“ fast „unplugged-Version“  annimmt.  Dieses schon charismatische Talent zeichnet übrigens viele seiner älteren Cover aus – angefangen bei Klaus Lage’s „Tausendmal Berührt“ über „Grönemeyer’s „Männer“ bis zu  „Geboren“von den Fantastischen Vier.

Im ganzen Konzert gab es nur einen Song, bei dem ich  zumindest Maze Meusel’s Schlagzeug etwas vermisst habe: Cicero’s Prince-Cover-Hit “ How Come U Don’t Call Me Anymore“ – schon in vielen Konzerten – zuletzt im Baden-Badener “ Mr. M’s Jazzclub“  vorgetragen, war immer ein überwältigendes Highlight seiner Konzerte. Jetzt nur mit Piano gehört, dachte ich, dass zum Drive des Song doch wenigstens die begleitende „Durchschlagskraft“  des Drummers gehört .

Dieses Konzert hat außerdem etwas eklatant bewiesen: Kunst, Güte, Professionalität und Kreativität eines Künstlers  entfalten sich am ehesten,  wenn das zu interpretierende  Repertoire von hohem Niveau ist und Anforderungen an den Künstler stellt.  Das war bei „Cicero Solo“ absolut der Fall. Unterschiedliches Songmaterial wie u.a. von Prince, James Taylor, Al Green, Stevie Wonder Eddie Jefferson, Strayhorn/Ellington, Dave Brubeck sowie der Sportfreunde Stiller, Rio Reiser und auch Cicero/Krajenski Stücke verlangen musikalische Versiertheit, großes Vorstellungsvermögen und Sinn für all diese Stilrichtungen.
Wenn nach dem mit aufregenden Scatvocalismen versehenen Jazzstandard „No Moon At All“  pötzlich „Ein Kompliment“  von den Sportfreunden Stiller folgt, oder Cicero nach  Soulfetzer „Let’s Stay Together“ mit samtig-weicher Stimme „Every Little Thing She Does Is Magic“ von Police singt, denkt man, da steht plötzlich ein andere Sänger auf der Bühne. Er singt den Policesong mit dunkler, geradezu magisch schön klingender Stimme. Die Diskrepanz von seinen kraftvollen, stählernden Höhen zu diesen tiefen, weichen, samtig-sonoren  Tönen ist ein regelrechter Überraschungseffekt.

Diesen Stil könnte er demnächst noch etwas entschiedener verfolgen. So hätte ich mir auch noch die eine oder andere ganz „sanfte“ Jazzballade ( z. B. Misty, Tenderly, The Wedding  oder One For My Baby) gewünscht. Da eröffnen sich noch große künstlerische Möglichkeiten für Cicero „“ so singen zu können ohne „weichgespült“ zu klingen ist auch eine seiner  Stärken. Von José James, einem der talentiertesten neueren jungen Jazzsänger und dem Pianisten Jef Neve erschien unlängst ein wunderschönes, von Kritikern hochgelobtes  Jazzballadenalbum, (For All We Know 2010) Eine solche Aufnahme könnte ich  mir ebenso gut von Könnerteam Cicero / Krajenski vorstellen.

Als Roger eingangs von seinem vielschichtigen Programm spricht, zeigt sich, wie sehr ein Künstler mit seiner Moderation aufpassen muss. Cicero erlaubte sich eine Unvorsichtigkeit und sprach gutgelaunt und  locker: „Ich singe hier heute Abend sozusagen einen bunten Gemischtwarenladen zusammen“ . Eine Kritik des Kölner Stadtanzeigers machte daraus gleich die Überschrift zu einer erschreckend oberflächlichen Besprechung:  „Gemischtwarenladen  mit Roger Cicero“ hieß es da, und das klingt so aus dem Kontext gelöst schon negativ  und eher nach einem sehr beliebigen, nicht wirklich interessantem Konzert.

BLUE RONDO A LA TURK
Wie interessant, unterhaltend und spannend  das Konzert aber letztendlich war, werden die meisten der ca. 600 – 700 Besucher im Theater des Kölner Tanzbrunnen zu bestätigen wissen. Ein künstlerischer Höhepunkt ereignete sich, als Cicero in einer erstmalig live dargebotenen Version das  ca. siebenminütige „Blue Rondo A La Turk“ intonierte.  Diese im 9/8 Takt von Dave Brubeck geschriebene  Bearbeitung geht auf das Mozart’sche „Rondo A La Turk“ zurück. Al Jarreau brachte auf dem Album „Breaking Away“ (1981) eine ziemlich geniale Version des Stücks, welches eigentlich als fast “ unsingbar“ gilt. Eine Studioaufnahme, mit  drums, bass, Synthesizer & acoustic piano. Cicero sang das Stück jetzt jedoch  live und nur mit Pianobegleitung. Bei der Ankündigung des Stücks  wedelte er die meterlange Partitur von der Bühne herunter.

Cicero behandelt hier seine Stimme wie ein Instrument und erbringt noch einmal den längst unnötigen Beweis nach den sophisticated vorgetragenen  Songs „Moodys Mood for Love“ und „No Mood At All“, dass er tatsächlich ein excellenter und sublimer Jazzsänger ist. Der unerhörte Schwierigkeitsgrad von „Blue Rondo A La Turk“ liegt nicht ( vordergründig erkannt) nur in der wahnsinnigen Schnelligkeit, dieser irrsinnigen Rhythmik welche perfekte Atemtechnik verlangt, sondern auch in der sprunghaften Melodieführung und dem riesigen großem Tonumfang, der den Einsatz seiner Kopfstimme  nötig macht und ihn in der Tiefe an seine Grenzen stößt. Der Song fließt von den stakkatoartig hervor gestoßenen Lyrics  in furiosen, impovisationsfreudigen  Scatgesang über „“  mittlerweile Cicero’s Königsdiziplin im Vokaljazz. So bleibt dieses Musikstück immer dem Jazz verbunden und ist trotz all der Bewältigung der technischen Kompliziertheit keine Zirkusnummer.

Mit dieser Vorstellung  hat Cicero eine andere musikalische Dimension in Richtung „Kunst“  betreten. Dann darf sich der Meister ein wenig ausruhen, denn Krajenski hat ein langes,  inspiratives und eher ruhiges Solo, in dem auch er in wunderbaren Improvisationen dem Titel nochmal Glanzlichter aufsetzt.

Beim seinem großen Solo in „Everybody Got The Blues“  ist dann allerdings nichts mehr ruhig! Lutz fackelt an der Hammondorgel ein Feuerwerk an gleißenden Orgeltönen ab,  die ihn bildlich gesehen mit samt dem großen Instrument gegen die  Konzerthallendecke fliegen lassen. Auch Cicero überzeugt mit dieser heftigen Bluesnummer, die vor Energie überschäumt und gewaltigen Applaus einheimst.

Beim drei Titeln greift Cicero selbst zur Gitarre, und schafft beim  Princesong „Forever in Life“,  und später in der Zugabe mit Stevie Wonders „Have Talk with God“  einen anderen Sound von toller, rhythmischer Qualität. „Fachmann in Sachen Anna“  ist dann zunächst ernst und   melancholisch, aber auch hier blitzen im zweiten Teil des Liedes ganz zornig-expressive Töne hervor, die diesen Song  dann wie einen Blues klingen lassen.

Gleich danach setzt sich Roger ans Klavier, während Lutz zur Hammondorgel wechselt.  Die Hommage an seinen Vater  „Ich Hätt‘ So Gern Noch Tschüß Gesagt“ gibt mir abermals die Überzeugung, dass dieser Song  sicher eine der besten Kompositionen von Cicero ist. Mal abgesehen vom sensiblen Text „“ die Melodie beinhaltet so viel interessante Wendungen, unerwartete Sprünge von den leisesten bis zu lauten, expressiven Noten die auch sängerisch große Sicherheit in der Intonation verlangen – dass  der  hohe musikalische Wert dieses Songs absolut  eindeutig ist. Mal Ballade, dann wieder Blues „“ Cicero beherrscht das wechselvolle Spiel von Fragilität bis zum Aufschrei. Sicher wäre es interessant , den Song auch in englischer Sprache zu hören, um so noch besser seine Bluesqualität testen zu können.  Nach dem Konzert bestätigten mir auch einige Besucher und Fans, dass diese Vorstellung “ Ganzkörpergänsehaut“ auslöste.  Die Nummer wirkte vielleicht noch stärker als früher in verlängerter Version und mit einem gefühlvollen  Solo von Lutz Krajenski.

Ganz anders als in der Kölner Lanxess-Arena war natürlich die Stimmung in dieser kleineren Lokation. Es herrschte absolute Stille und große Konzentration seitens der Besucher bei allen Titeln. So konnte sich jeder Song in seiner Performance richtig entfalten und  seine Wirkung erzielen „“ so wie es eigentlich immer sein sollte.  Nach der Hommage an  Cicero’s berühmten Vater dem Jazzpianisten Eugen Cicero, wird es wieder jazzig mit den weltberühmten „Take The A-Train“ . Lässig und schwungvoll singt Cicero den großartigen Jazzklassiker  in der Version  nach Eddie Jefferson, (1918 „“ 1979) der leider auch heute noch hauptsächlich nur bei Jazz-Insidern bekannt und geschätzt ist.

Als letzten Song kündigt Roger einen Gospel an, geschrieben und getextet von Tommy Sims. „Everyday“ hat er  bereits auf der CD der Jazz-und Soulformation  Soulounge „Home“ ( 2004) gesungen. Aber wie hat sich Cicero seitdem weiterentwickelt ! Von Leidenschaft getrieben, stimmgewaltig und  souverän lässt er den Song schon fast hymnisch erglühen. Jetzt beim letzten Song drängt es die Menschen  nach vorne an die Bühne, und Cicero fordert auch die Zögerlichen auf, nach vorne zu kommen. Nach dieser hochdynamischen Nummer wird er erst nach zwei Zugaben entlassen. Erst ein Song von Stevie Wonder und danach schafft Roger noch einmal unter dem Publikum das Gefühl von tiefer Verbundenheit mit seiner Rio-Reiser-Version „König von Deutschland“  Einmal darf hier mitgesungen werden – und das kann nach diesem Konzert auch nicht der strengste Musikpurist verübeln!

Dieses Konzert mit seinen vielen musikalischen Höhenflügen im Weltklasseformat hat die Früchte einer wunderbaren Künstler-Liäson präsentiert.  Authentizität, Talent und die Freude an der Musik setzten sich hier in höchstbefriedigender Weise durch.

Mit einem Slogan zum Soloprogramm von Cicero und Krajenski möchte ich dieses Rezension beenden: SIE KÖNNEN AUCH ANDERS „“ UND NOCH BESSER  !

KONZERTBEGINN 19:05

Never Take The Place – Prince „¨No Moon At All –  Redd Evans
Das Kompliment –  Sportfreunde Stiller „¨What going on  –  MarvinGaye
Moody’s mood for love –   Eddie Jefferson
Spontis zeugen Bänker – Krajenski“¨Für „˜nen Kerl“ piano – Cicero“¨Forever in my Life –  Prince
Blue Rondo a al turk – Dave Brubeck

PAUSE   20:00 „“ 20:20
Let“˜s Stay Together – Al Green „¨Every Little Thing She Does – Police/Sting „¨How Come You Don“˜t Call me anymore –  Prince „¨Schöner war’s ohne- Krajenski?
Ich hätt so gern noch Tschüß gesagt piano „“ Cicero
Everybody got the blues  – James Taylor
Fachmann in Sachen  Anna -Matthias Hass/ Maren Stiebert
Take the A-Train – Strayhorn/Ellington
Everyday   Tommy Sims
ZUGABEN

Have A Talk With God  – Stevie Wonder „¨König von Deutschland – Rio Reiser
BIS  21:45

NACHTRAG
Der Jazzkritiker Ralf Dombrowski ***
schrieb am 26.Oktober in der Süddeutschen Zeitung  über das Konzert:“¨“Großes Kino   Roger Cicero im kleinen Ampere“
(Auszug)“¨“Aus dem Mauerblümchen und der Kunstfigur ist ein Entertainer von Format geworden, der seinen Stil in der Reduktion auf das Wesentliche findet, das er in permanenter Kommunikation mit der pfiffigen und emphatisch groovenden Begleitung von Lutz Krajenski entwickelt. Das ist großes Kino im kleinen Rahmen, künstlerisch und musikalisch mitreißend und zugleich authentisch genug, um bei aller Professionalität den Menschen auf der Bühne nicht zu vergessen. Eugen wäre stolz auf seinen Roger gewesen““¨Ralf Dombrowski

*** http://www.3sat.de/page/?source=/scobel/143752/index.html

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Die JAZZ CD/DVD- und Konzert Rezensionen von Werner Matrisch sind ein besonderes schöne Rubrik. Jazzie traf den Kölner Maler und Künstler Werner Matrisch "Homepage WernerMatrisch" bei einer Vernissage. Wir kamen ins Gespräch und entdeckten, das wir nicht nur eine gemeinsame Leidenschaft, die Malerei haben, sondern auch dem Jazz sehr zugetan sind.